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  Olga Grjasnowa: Der Russe ist einer, der Birken liebt
 

Der Russe ist einer… oder zum Thema Stereotypen

Mascha, eine junge Frau, lebt in Frankfurt und weiß höchstwahrscheinlich selbst nicht ganz genau, wo ihre Heimat ist und ob es sie überhaupt gibt. Mit den Eltern als 11-jährige aus Aserbaidschan nach Deutschland geflohen, schon als Kind eigene tragische zwischenmenschliche Erfahrungen im Kriegsgebiet gemacht, auch in Deutschland mit den Integrationsproblemen auseinandergesetzt, wächst Mascha zu einer leicht verletzlichen, selbstbewussten und feinfühligen Frau auf. Ihren Charakter würde ich keinesfalls als einfach bezeichnen.

Wenn man die Kurzangaben zu der Autorin Olga Grjasnowa liest, erstellt man intuitiv viele Parallelen zwischen der Hauptfigur des Romans und der Schriftstellerin, weil sie viele Gemeinsamkeiten in ihren Biographien haben. Ob Olga das Buch aufgrund eigener Erfahrungen schreibt oder alles nur ihrer Fantasie entsprungen ist, spielt eigentlich keine Rolle, sobald die Story interessant und spannend erscheint. Jeder Autor hat eigene Geheimnisse. Aber der aufmerksame Leser identifiziert gleich die Protagonistin mit der Autorin und diese Zusammensetzung finde ich nicht immer angemessen, weil manche Episoden im Buch zu künstlich oder hingegen zu brutal wirken, was ich so einer zierlichen jungen Frau nicht zutrauen würde. So ist zum Beispiel die Szene mit dem armen Kaninchen aus meiner Sicht völlig unrealistisch. Oder die schreckliche Geschichte mit der Deutschlehrerin – da hatte ich das Gefühl, es könnte ein echter (Rache-)Traum des Mädchens sein, den es aber nie verwirklichen konnte. Und die Autorin präsentiert es uns Lesern als wahre Tatsache, die ein schüchternes Kind (noch dazu mit einem Migrationshintergrund) sich so ganz normal erlaubt.

Mascha ist eine Jüdin, fühlt sich aber manchmal russisch oder deutsch, sogar arabisch oder aserbaidschanisch und die meiste Zeit gar nationalitätslos. Sie hat viele Freunde, aber keine richtigen. Sie will keinem ihre Seele öffnen. Sie spricht mehrere Sprachen, macht es zu ihrem Beruf, kennt sich in vielen interkulturellen Sachen aus und kann trotzdem immer noch keinen Platz im Leben finden. Nach dem Tod ihres engen Freundes Elias versucht Mascha ihre innerliche Ruhe in einer anderen Welt zu finden. Sie tritt eine Arbeitsstelle in Israel an. Zwar beherrscht sie ausgerechnet die hebräische Sprache nicht, doch kann sie die Situation in den Nahen Osten von innen betrachten und versteht sie sehr gut. Hier kommt sie zum Entschluss, dass es auch nicht ihr Land ist.

Mit dem auffälligen Titel wollte uns die Autorin eigentlich sagen, dass es mehr als genug Stereotypen und Vorurteile gibt, wenn es um die Einsichten anderer Nationen und Mentalitäten geht. Jeder Mensch verdient es, als Mensch betrachtet zu werden und nicht als ein konkreter Vertreter irgendeiner Nation. (Hier muss ich in Klammern sagen, dass Mascha selber von einigen Vorurteilen nicht frei ist und ihre giftigen Bemerkungen manchmal so richtig nach Stereotypen riechen: wenn ein Deutscher, dann gleich mit einer Prise brauner Farbe; wenn sowjetische Vergangenheit, dann mit einer nostalgischen, aber ganz positiven Note.) Mit den Birken hat der Plot natürlich nichts zu tun, außer dass die Wörter von Tschechow als Epigraph zum Roman erwähnt wurden, um den Konzept des Titels zu unterstreichen.

Die Geschichte hat bei mir einen schweren Eindruck hinterlassen. Obwohl der Roman handwerklich sehr gut gemacht ist, der Schreibstil der Autorin recht angenehm und fließend zu lesen ist, vermittelt das Werk eine negative Atmosphäre. Ich fühlte ständig irgendeine innerliche Enttäuschung und sogar Lebensmüdigkeit sowie in Maschas Gedanken als auch in Erwägungen von Olga Grjasnowa. Von den ganzen (meist sehr seltsamen) Maschas Lovestorys ganz zu schweigen. In meinen Augen fallen sie aus der Reihe.

Ich weiß jetzt nicht genau, ob ich die Idee des Buches richtig verstanden habe. Ob Mascha sich endlich gefunden hat? Ob ihre Welt jetzt auch unsere Welt ist? Ob sie noch lebt?


Eckdaten:

  • Gebundene Ausgabe: 288 Seiten
  • Verlag: Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG; Auflage: 5 (6. Februar 2012)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3446238549
  • ISBN-13: 978-3446238541

Meine Bewertung: ***
 

 

 
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